21.01.2020

 

Ist Bildungsmanagement agil?

Perspektiven für die Organisationsentwicklung in der öffentlichen Verwaltung

 

„Agilität“ ist ein Schlagwort, das seit vielen Jahren immer häufiger genannt wird, wenn es um die Arbeitsweise von Unternehmen und Organisationen geht. Die IT-Branche begann in den 2000er-Jahren, Vorstellungen von agilem Arbeiten zu prägen. Zuerst waren es die kleinen Start-ups, bald folgten Großkonzerne wie Google und Apple. Inzwischen ist agiles Handeln auch in der öffentlichen Verwaltung ein Thema. Immer mehr Kommunen befassen sich mit agilen Prinzipien und beginnen, in Teilbereichen mit agilen Methoden zu arbeiten. 2016 gründete sich das „Forum agile Verwaltung“ als bundesweite Plattform zum Austausch unter Praktiker/innen. Die Wissenschaft untersucht Konzepte der „Agilen Verwaltung“ und spricht von einem neuen Paradigma der Verwaltung[1].

 

Wer genauer hinsieht, kann feststellen, dass in einigen Bereichen der Verwaltung – allen voran im Bildungsmanagement – schon lange einige Arbeitsweisen praktiziert werden, die in agilen Konzepten eine zentrale Rolle spielen. Mit dem Aufbau eines Datenbasierten Kommunalen Bildungsmanagements (DKBM) ist beispielsweise untrennbar verbunden, dass Bildungsthemen innerhalb der Verwaltung kooperativ, bereichsübergreifend, strategisch und datenbasiert bearbeitet werden. Hinzu kommen die Beteiligung von externen Bildungsakteuren und der Öffentliche Diskurs.

 

Zwischen den Konzepten des DKBM und denen der Agilität ergeben sich viele Überschneidungen. Zudem steht in vielen Kommunen die Frage im Raum, ob nach Auslaufen der Förderung das DKBM verstetigt werden soll. Bei dieser Frage spielt es eine wichtige Rolle, auf welche Art und Weise eine Kommunalverwaltung mit Bildungsthemen umgehen will. Für die Transferagentur Brandenburg waren diese Erkenntnisse der Ausgangspunkt, ihr 3. Spitzengespräch zum Kommunalen Bildungsmanagement am 22. November 2019 dem Thema Agilität zu widmen. Der Titel der Veranstaltung lautete: „Agile Bildungslandschaften – Eine Perspektive für die Organisationsentwicklung in der öffentlichen Verwaltung?“

 

Das Konzept der „Agilen Verwaltung“?

Priv.-Doz. Dr. Daniel Rölle – er ist derzeit Vertreter des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz – erläutert das Konzept der „Agilen Verwaltung“ beim Spitzengespräch im Schloss Neuhardenberg so: „Zentraler Aspekt ist eine Neuausrichtung der Kommunikation – weg von einer hierarchischen, einseitigen top-down-Kommunikation, hin zu einer horizontalen, problemorientierten Kommunikation.“ Daniel Rölle führt weiter aus: „Ein Kernelement ist, das Denken in Zuständigkeiten oder Sachgebieten aufzugeben; stattdessen sollen behördenübergreifende Vorgangsteams (Arenen) gebildet werden, die regelmäßig miteinander kommunizieren und die entsprechend für die fristgerechte Durchführung des Vorhabens verantwortlich sind.“ Solche Arenen sind im Bildungsbereich beispielsweise Lenkungskreise, Bildungsbeiräte oder Steuerungsgruppen.

 

Flexibel oder agil?

Zum Begriffsverständnis von Agilität hält Daniel Rölle eine hilfreiche Definition bereit: „Agilität geht über Flexibilität hinaus“, sagt er. „Während Flexibilität eine reaktive Anpassung ist – also eine Reaktion auf Anstöße von außen – heißt Agilität, proaktiv und initiativ zu handeln, um notwendige Veränderungen herbeizuführen.“

 

Dieser Gedanke entspricht dem Kern des kommunalen Bildungsmanagements: Die Kommune nimmt sich vorausschauend der Herausforderungen im Bildungsbereich an, sie geht aktiv auf Bildungsakteure zu, sie koordiniert die Abstimmungs- und Beteiligungsprozesse und entwickelt auf diese Weise ihre Bildungslandschaft weiter. Für eine „klassische“ Verwaltung kann hinter diesem Rollenverständnis ein grundlegender Kulturwandel stecken: Die Verwaltung wird von der Verwalterin zur Gestalterin.

 

Bildungsmanagement im Burgenlandkreis

Robert Aßmann, Leiter des Amts für Bildung, Kultur und Sport im Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) und Damaris Berger, Leiterin des dortigen Bildungsbüros, erläutern den Brandenburger Dezernent/innen und Amtsleiter/innen im Schloss Neuhardenberg, welche agilen Prinzipien sich für ihr Bildungsmanagement als hilfreich erwiesen haben. Dazu zählen:

  • Die Konzepte der Agilität geben eine Orientierung bei der Auswahl der Fragestellungen, mit denen sich das DKBM befassen sollte. Das DKBM ist eine Struktur, um komplexe Fragestellungen anzugehen, die mit der klassischen Verwaltungslogik, d.h. von einem einzelnen Amt, nicht gelöst werden können. Das Cynefin-Framework, ein Wissensmanagement-Modell, das vielen agilen Konzepten zu Grunde liegt, unterscheidet zwischen vier Arten von Fragestellungen: einfache, komplizierte, komplexe und chaotische.[2] Agiles Handeln ist dann hilfreich, wenn komplexe Fragestellungen vorliegen. Agile Methoden sind weniger angebracht für einfache, routinemäßige Aufgaben, ungeeignet für komplizierte Fragen, bei denen ein hohes Maß an Spezialwissen erfordert wird, und auch nicht unbedingt in chaotischen Kontexten sinnvoll.
  • Das Bildungsbüro im Burgenlandkreis bildet selbstständige Teams. Das heißt, die Mitarbeiter/innen der Verwaltung erhalten einen definierten Handlungsrahmen, in dem sie eigenständig agieren. Dies kann z.B. beinhalten, dass sie Abstimmungen mit dem Landrat direkt vornehmen.
  • Zu den Grundideen der Agilität gehört das Prinzip, Teilergebnisse in der praktischen Anwendung zu prüfen. Für das Bildungsbüro des Burgenlandkreises bedeutet dies, frühzeitig mit Überlegungen in die Öffentlichkeit zu gehen und sie beispielsweise bei einer Bildungskonferenz zur Diskussion zu stellen. Robert Aßmann betont dabei: „Wir haben einen Masterplan im Kopf, aber der Fokus liegt auf Teilzielen.“
  • Der Agilität wie dem DKBM ist gemein, von der Perspektive der Kunden bzw. der Anspruchsberechtigten auszugehen. Eine zentrale Rolle im DKBM spielen daher für die Ziel- und Strategieentwicklung der öffentliche Diskurs und die Beteiligung der Betroffenen.
  • Zu guter Letzt ist ein vertrauensvolles, wertschätzendes Miteinander die wichtigste Grundlage für die Zusammenarbeit, betont Damaris Berger.

 

Agiler Frühling in der Stadt Leipzig

Die Stadt Leipzig rollt das Thema Agilität aus den zentralen Ämtern Hauptamt und Personalamt her auf. Dort ist Vanessa Burgardt als Organisationsentwicklerin in der Abteilung Organisation und Projektmanagement tätig. Sie berichtet beim Spitzengespräch im Schloss Neuhardenberg, wie sie vor rund eineinhalb Jahren ein Veränderungsprojekt in der Stadtverwaltung angestoßen hat. Den Beteiligten macht es viel Spaß, daran mitzuarbeiten. Grundlage ist unter anderem das von Vanessa Burgardt entwickelte Training in systematischer Kreativität. Nach einer ersten „Agilen Woche“ im September 2018, an der rund 70 Mitarbeiter/innen teilgenommen haben, plant sie gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe aus allen Dezernaten der Stadtverwaltung nun den agilen Frühling 2020. Mit dabei ist hier auch die Bildungsmanagerin der Stadt.

 

Es muss nicht alles „agil“ heißen, was agil ist

Vanessa Burgardt hat die Erfahrung gemacht, dass der Begriff „agil“ nicht immer positive Reaktionen hervorruft. Sie ist dazu übergegangen, die Inhalte und Ideen, die sie verbreiten möchte, anders zu benennen. „Das integrierte Stadtentwicklungskonzept beinhaltet unter dem Motto Leipzig weiter denken für die Stadtverwaltung das Leitbild der lernenden Organisation“, berichtet Vanessa Burgardt, „Hierauf müssen alle Vorlagen der Stadt Bezug nehmen. Für die Organisationsentwicklung im Sinne agiler Prinzipien ist dieses Leitbild sehr hilfreich.“

 

Zum Schluss ist es Vanessa Burgardt wichtig zu betonen: „Agile Werte sollten für jedes Arbeiten gelten! Agile Arbeitsmethoden sind nicht unbedingt für jeden und für jede Aufgabe geeignet.“

 

Verstetigung des Datenbasierten Kommunalen Bildungsmanagements

Die Transferagentur Brandenburg versteht den Aufbau eines DKBM in einer Kommune als umfassenden Organisationsentwicklungsprozess. Eine Verstetigung der Strukturen und Personalstellen gelingt umso besser, je breiter das Verständnis für die Zusammenhänge und die Reichweite der Konzepte ist. Die Transferagentur wird das Thema in ihren Veranstaltungen und Beratungen immer wieder aufgreifen.

 

 

[1] Vgl. Vortrag PD Dr. Daniel Rölle 22.11.2019: Agilität als (neues) Paradigma der Verwaltung? – Perspektiven und Herausforderungen für die Organisationsentwicklung, Folie 15

[2] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Cynefin-Framework

 

Weiterlesen

Dokumentation des 3. Spitzengesprächs zum Kommunalen Bildungsmanagement, 22.11.2019:

Literatur und Links (Auswahl):

  • Daniel Rölle: Agile Verwaltung. In: Tanja Klenk/Frank Nullmeier/Göttrik Wewer (Hrsg.): Handbuch Staat und Verwaltung im digitalen Zeitalter. Springer VS Verlag (erscheint in Kürze)
  • Martin Bartonitz et al. (Hrsg.): Agile Verwaltung: Wie der Öffentliche Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann (Wiesbaden 2018)
  • Svenja Hofert, Claudia Thonet: Der agile Kulturwandel: 33 Lösungen für Veränderungen in Organisationen (Wiesbaden 2019)
  • Klaus Leopold: Agilität neu denken: Warum agile Teams nichts mit Business Agilität zu tun haben (Wien 2018)
  • Forum Agile Verwaltung https://agile-verwaltung.org/